Digitaler Zwilling von Bioprozessen als Schulungs- und Ausbildungsinstrument

Digitale Zwillinge sind eine Schlüsseltechnologie der Industrie 4.0. Die Zielsetzung im Rahmen von Teilprojekt 3 des D3 Projektes (Digitalisierung Didaktisch Denken) der Hochschule Esslingen liegt in der Entwicklung eines digitalen Zwillings (DZ) für eine bioverfahrenstechnische Versuchsanlage zur Herstellung biologischer Produkte mit Mikroorganismen oder Zellkulturen. Der digitale Zwilling wurde mit dem Matlab App Designer von MathWorks entwickelt, der die Möglichkeit bietet, die Simulation in einem Browser mit Hilfe des Matlab Web App Servers auszuführen.

Der Focus liegt darauf, das Verhalten und die Automatisierungstechnik der Versuchsanlage möglichst realitätsnah abzubilden. Der digitale Zwilling wird über eine grafische Benutzeroberfläche (GUI) bedient, die den PLS-Benutzeroberflächen ähnelt. Die Benutzer können verschiedene Prozessparameter einstellen, verschiedene Betriebsarten (z.B. Batch, Fed-Batch, Chemostat) auswählen und sogar automatisierte Rezepte über eine sequenzielle Steuerung mit einer an GRAFCET angelehnten Schnittstelle entwerfen und implementieren. Derzeit wird eine bidirektionale Anbindung des digitalen Zwillings an den Bioreaktor über eine OPC-Schnittstelle entwickelt.

Ein wesentlicher Vorteil der virtuellen Anlage ist es, dass ein Experiment in der Simulation stark beschleunigt abläuft. Dies ermöglicht es, eine Vielzahl an Experimenten in kurzer Zeit durchzuführen, da Prozesse die in der Realität Tage dauern binnen weniger Minuten simuliert werden können.

Den Studierenden wird somit die Bearbeitung neuer Experimente und Fragestellungen ermöglicht. Sie lernen die moderne Vorgehensweise bei der Prozessentwicklung und -optimierung in der Industrie an Beispielen aus der beruflichen Praxis kennen.

Darüber hinaus bietet der Digitale Zwilling aus didaktischer Sicht eine Reihe von weiteren Vorteilen. So ermöglicht es der DZ, Studierende anschaulich an komplexe Sachverhalte heranzuführen und diese zum spielerischen Lernen zu ermutigen und erhalten die Möglichkeit, eine moderne Art der Bioprozessentwicklung und -optimierung zu erleben.

Die Verwendung eines digitalen Zwillings verringert auch die Angst vor Fehlern oder falschen Entscheidungen. Die Studierenden können frei virtuelle Experimente mit verschiedenen Parametern und Konfigurationen durchführen, was letztlich zu einer größeren Sicherheit im Umgang mit realen Prozessen führt.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Anonymous

    Liebe Miriam,
    die Modellierung von biologischen Systemen kann sehr umfangreich werden und es müssen von vorneherein vereinfachende Annahmen getroffen werden. In unserem Fall handelt es sich um ein kinetisches Modell für Escherichia coli zur Herstellung von rekombinanten Proteinen, welches das Wachstums- und Produktbildungsverhaltens in einem Bioreaktor sehr realistisch beschreibt.
    Derzeit entwickeln wir die Ankopplung an den realen Prozess über eine OPC-Schnittstelle. Geplant ist, dass das Modell anhand der gemessenen online Informationen an den aktuellen Zustand abgeglichen wird. Damit ist zukünftig eine online Prozessoptimierung oder eine modellprädiktive Regelung des Bioprozesses möglich.
    Der Haupteinsatz in der Lehre im Studiengang Biotechnologie wird allerdings mit der offline Version des Digitalen Zwillings erfolgen. Die Studierenden lernen die Bedienung der realen Anlage mit Hilfe des Digitalen Zwillings im Sinne einer Trainingssimulation kennen. Sie können Schrittketten zur Automatisierung der Anlage programmieren und stark beschleunigt ablaufen lassen. Damit ist es möglich, unterschiedliche Automatisierungsszenarien miteinander zu vergleichen, bevor diese in der realen Anlage umgesetzt werden.
    Viele Grüße
    Richard

  2. Miriam Clincy

    Lieber Richard,

    ich finde das sehr spannend, vermutlich, weil ich gar nicht vom Fach bin. Anders als bei digitalen Zwillingen in der Mechatronik, wo das Verhalten des realen Objekts eher deterministisch ist, würde mich interessieren, wie die biologischen Prozesse abgebildet werden:
    – wird jeweils dasselbe Modell angenommen (beispielsweise ein deterministisches/stochastisches Wachstum von Zellkulturen) oder
    – gibt es verschiedene Modelle zur Auswahl oder
    – steuert man mit dem Zwilling eine reale Anlage und spielt die beobachteten Wachstumsprozesse an den Zwilling zurück (das klingt allerdings in der Beschreibung nicht so, weil der Zwilling ja die Prozesse beschleunigt ablaufen lassen kann)?

    Herzlichen Dank und viele Grüße

    Miriam

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